
Jazzkirche Radiogottesdienst am 18.09.2022
Thank You – Gott sei Dank Dankbarkeit schafft Ausdauer und Kraft.
In Zeiten, in denen Resilienz wichtig ist und Widerstandkraft in Krisenzeiten gebraucht wird, kann Dankbarkeit so etwas wie eine lebenserhaltende Einstellung sein. Aber Dankbarkeit ist keine Technik zur Lebensoptimierung, sie ist als dialogische Haltung, ein Move für Herz und Hand. Und nicht zuletzt Ausdruck einer Glaubenshaltung: ich bin beschenkt und das unverdient. Die Jazzkirche feiert die Dankbarkeit und lotet aus, wie sie sich begründet und entwickelt.
Am Sonntag, den 18. September haben wir dazu die seltene Gelegenheit, die Jazzkirche als Radiogottesdienst aus der Neanderkirche zu senden. Achtung: Um 10 Uhr morgens wird der Gottesdienst live in den Bereich des WDR und des Deutschlandfunkes ausgestrahlt.
Musikalisch wirken Johannes Seidemann Saxophone, Konstantin Wienstroer Kontrabass, Peter Baumgärtner Schlagzeug, Manfred Heinen Flügel, Anke Jochmaring Gesang.
Die Texte sprechen Hella Henckel-Bruckhaus, Nicole Mechtenberg, Dirk Holthaus, die Predigt hält Michael Opitz, der Rundfunkgottesdienst wird redaktionell begleitet von Pfarrerin petra Schulze.
Wegen der Live-Radioaufnahme bitten wir, schon bis 9:30 Uhr in der Kirche Platz zu nehmen!
Jazzkirche Düsseldorf
Die Idee ‐ New York, New York
Ein Besuch der Jazz‐Vesper 1* in Saint Peter in New York gab den Anstoß, Jazz und Gottesdienst in
rheinischer Verbindung zu denken. Nach ersten Versuchen mit durchkomponierten Jazz‐Messen aus
der Feder des Pianisten und Organisten Holger Clausen 2002 und 2003 wurde das Projekt Jazzkirche
in der Neanderkirche im Herbst 2003 in der Düsseldorfer Altstadt umgesetzt. Es dauerte einige Zeit,
bis Musiker aus der Jazz‐Szene gefunden waren, die sich vorstellen konnten, ihre Musik in den
Kontext eines Gottesdienstes zu stellen und nicht, wie sonst in den umliegenden Kneipen, Clubs und
Konzertsälen üblich, in den Kontext von Gigs und Sessions.
Ort und Zeit ‐ Altsax Altar Altstadt Altbier
Jazz hat seit den 60er Jahren immer wieder den Weg in die Neanderkirche gefunden. Musiker wie
Oskar Gottlieb Blarr, Knut Kiesewetter, Kurt Edelhagen 2* und Holger Clausen sind an diesem Ort mit
kirchenmusikalischen Fusionen von Jazz und moderner Musik zu verbinden. Der konsequente Schritt
in den Gottesdienst aber kam erst mit der Jazzkirche. Die Neanderkirche in der Altstadt eignet
hervorragend dafür. Der Innenraum ist klein und die Gottesdienstbesucher sitzen dicht am
Altarraum, daher kann die Musik sehr direkt erlebt werden. Der Gottesdienst beginnt um 18 Uhr,
wohlbedacht zu einem Zeitpunkt, an dem für viele der Sonntag mit seinem Ritualen (langes
Frühstück, Spaziergang, Altstadtbesuch) zu ende geht und man sich innerlich schon auf die
kommende Woche vorbereitet. Anschließend treffen sich Musiker, Liturgen und
Gottesdienstbesucher zum Predigtnachgespräch im gegenüberliegenden Brauhaus.
Die Musik ‐ Modern Jazz
Jazz ist Herz und Kopfangelegenheit: vertrackte Rhythmen, gefühlte Töne, kompliziert gesetzte
Arrangements, heraus geröhrte Improvisationen. Mit dem Modern Jazz hat die Jazzkirche eine
Musikfarbe gewählt, die großen Texten aus Tradition und Gegenwart, aus Bibel und Lyrik anwachsen
ist und bei aller Reflektionsfähigkeit doch alle Farben des Lebens direkt und unmittelbar zu
durchleben in der Lage ist. Auch der Modern Jazz zitiert seine Traditionen , sucht Anklänge in den
befreienden Entdeckungen des Jazz der 20er, 30er Jahre, öffnet sich der Gegenwart, holt über das
Improvisatorische, über den Scatgesang moderne Elemente hinein.
Making Of ‐ Überraschungen auf Risiko.
Die Jazzkirche lebt von der vorbereiteten Zusammenarbeit zweier Teams: den Musikern und den
für die Texte verantwortlichen Liturgen und Sprechern. Ist ein gemeinsames Thema gefunden,
machen sich beide Teams auf die Suche nach thematisch passenden Stücken aus jeweils ihrem
Fundus, texten und collagieren, arrangieren und komponieren Musiken. 3*
Beide Teams treffen sich,
um die Fundstücke und Eigenproduktionen zu einem Spannungsbogen zusammen zu stellen.
Besondere Sorgfalt wir auf die Auswahl von Kirchenchorälen gelegt, die von der Gemeinde gesungen
und von der Band jazzig begleitet werden. Erst im Gottesdienst wird der Zusammenklang von Lyrik,
Lesungen, Instrumentals und Improvisationen zu einem Ganzen. Das gibt dem Geschehen eine
besondere Spannung und beschenkt erfahrungsgemäß auch jene noch einmal neu, die sich in die
Thematik schon eingearbeitet haben. Alle Liturgien und Predigten werden dokumentiert und sind
im Internet verfügbar 4*.
Die Liturgie – up and down
Der Ablauf ist im Unterschied zu landläufigen Gottesdiensten dem Genre der Jazzkonzerte angepasst.
Musiker und Sprecher sind in schlichten Schwarz gekleidet, letztere verzichten auf den Talar. Der
Jazzgottesdienst beginnt mit einem längeren Musikstück. Anschließen werden in der Begrüßung
Sprecher und Musiker namentlich vorgestellt, insbesondere, wenn es sich um Gäste handelt, die die
Band verstärken. Lesungen, Gebete, und Texte aus Lyrik wechseln mit Musiken ab, in denen die
Musiker in unterschiedlichen Formationen auftreten, die Titel der Musiken werden angesagt. Sehr
aussagekräftig sind musikalisch unterlegte Texte, Lesungen, Wortspiele und Wortcollagen, die mit
Instrumenten in einen improvisatorischen Dialog treten.
Beifall und Anfeuerungsrufe gehören natürlich zu den spontanen Kommunikationsstrukturen eines Jazzgottesdienstes dazu, in dem
Improvisation und Solostücke der Musiker im Repertoire sind. Im Laufe der Jahre hat die
Gottesdienstgemeinde gelernt, damit einfühlsam umzugehen, sodass auch ernste Texte und
Botschaften nicht verloren gehen. Es gehört zu den Aufgaben der Liturgen, die emotionalen
Wechsel angemessen zu moderieren. Der Gottesdienst wird abgeschlossen mit einem Stück, in dem
die Musiker noch einmal alles zeigen können. Der Hinweis auf die Kollekte, die die Unkosten nur zu
einem kleinen Teil auffangen kann (Instrumentenfinanzierung, Musiker‐Honorare) wird meist
verbunden mit der Einladung, zu einem Glas Wein in der Kirche zu bleiben.
Die Zielgruppe ‐ Gewächse urbaner Kultur 5*
Das Konzept der Jazzkirche wendet sich an eine Zielgruppe, die mit der klassischen Kirchenmusik
bisher durch die Kirchen nicht angesprochen werden konnte. Der Jazz hat in Deutschland eine
anfangs kleine, mit Entwicklung einer urbanen Jazzkultur aber immer weiter wachsende
Anhängerschaft gewonnen. Durch die vielfältige Entwicklung der Jazzstile ist die Zielgruppe der
Jazzkirche nicht scharf umrissen. Zu den zwischen 200 und 400 Gottesdienstbesuchern gehören
Jazzenthusiasten aus der Szene, wie auch jene, die sich in den Suchbewegungen zwischen verfasster
Kirche und Esoterik befinden. Vielfach sind es auch Leute, die sich für Gottesdienst neben Gospel
und Klassik eine weitere Klangfarbe wünschen. Die Gottesdienstbesucher gehören zu den
Altersgruppen eher ab 45 aufwärts, eine jugendgemäße Musikform will die Jazzkirche bewusst nicht
sein.
Jazzkirche ‐ body and soul
Der Jazzgottesdienst hat leibliche und geistliche Dimensionen ausgelebt, (Themenreihe „Elemente“)
hat urbane Impressionen verarbeitet („City‐Life I+II), hat Abendmahl gefeiert und Hochzeit, hat
Menschen zum (Wieder‐)Eintritt in die Kirche bewegt und zur Taufe und Jazzfreunde zu Grabe
getragen. Die Zahl der Projekte, die in eine ähnliche Richtung gehen, wächst. Weit entwickelt sind
Projekte in der Schweiz (Basel und Davos). Soweit sichtbar, gibt es in Deutschland zurzeit Projekte in Würzburg,
Berlin6 und Hamburg‐Harburg 7*. „Entwicklungshilfe“ ist angefragt aus dem katholischen
Ruhrgebiet. Eine Reihe „Geistlicher Jazzkonzerte“ mit größeren Werken (Easter Suite v. Oscar
Peterson) ist 2009 angelaufen.
Dirk Holthaus
Gekürzte und aktualisierte Fassung eines Beitrages in „Gottesdienst Orte – Handbuch Liturgische
Topologie“, Gotthard Fermor /Gerhard K. Schäfer /Harald Schroeter‐Wittke/Susanne Wolf‐Withöft
(Hrsg) Leipzig 2007 S.181
1 http://www.saintpeters.org/jazz/
2 Das Evangelische Düsseldorf, Kirchenkreisverband Düsseldorf, Düsseldorf 1973 S.91
3 Die Verbindung von Text und Lyrik in einer besonderen Aufführungspraxis wurde in den USA Ende der 50er
Jahre entwickelt und auch in Deutschland (z. b. Klaus Weiss mit Heinrich Heine) vorangetrieben.
Reclams Jazz Führer, Hrsg. Bohländer Holler, Pfarr, Stuttgart 3. Aufl. 1989 S. 402
4 http://www.jazzkirche.de Webseite der Jazzkirche Düsseldorf
5 Kapitel „Jazz als Urbane Kultur“ in Jazz in Nordrheinwestfahlen seit 1946, herausgegeben von Robert v. Zahn,
Köln 1999
6 http://www.kreuzkirche‐berlin.de/jazz.htm
7 http://www.jazzgottesdienst.de/